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25.06.2025
Incentivesysteme im Vertrieb von Investitionsgütern – Zwischen Motivation und Fehlsteuerung
Der Vertriebsbereich ist der zentrale Treiber für Wachstum und Ertrag – insbesondere in der Investitionsgüterindustrie. Dabei stellt sich immer wieder die Frage: Wie motiviere ich meine Vertriebsmitarbeiter zu Höchstleistungen? Wie schaffe ich es, die Bereitschaft zu fördern, auch die berühmte „Extrameile“ zu gehen – und gleichzeitig unerwünschte Nebenwirkungen wie kurzfristiges Denken oder internen Wettbewerb zu vermeiden?
Das am häufigsten eingesetzte Steuerungsinstrument ist das Incentivesystem – und zugleich ist es ein Dauerthema für Diskussionen.
Doch was leisten variable Vergütungssysteme wirklich? Und wo liegen ihre Grenzen?
1. Die Grundidee: Leistung soll belohnt werden
Incentivesysteme folgen einem scheinbar einfachen Prinzip: Wer mehr verkauft, soll auch mehr verdienen.
Dieser Leistungsanreiz soll Motivation schaffen, Zielorientierung fördern und letztlich den Unternehmenserfolg steigern. In der Theorie klingt das plausibel – und auch fair. Gerade im technisch anspruchsvollen Vertrieb von Investitionsgütern, wo Abschlussquoten, Projektzyklen und Margen stark variieren, erscheint dieser Ansatz attraktiv.
Doch funktioniert das auch in der Praxis?
2. Vorteile eines durchdachten Incentivesystems
a) Motivation und Leistungsbereitschaft steigern
Ein transparentes Bonussystem kann ambitionierte Mitarbeiter aktivieren – insbesondere jene mit hoher intrinsischer Motivation, die sich durch zusätzliche Anreize zusätzlich beflügelt fühlen.
b) Fokussierung auf Unternehmensziele
Gute Incentive-Systeme operationalisieren strategische Ziele: Deckungsbeiträge steigern, bestimmte Produktlinien fördern, Neukunden gewinnen, Bestandskunden ausbauen oder neue Märkte erschließen.
c) Messbarkeit und Steuerbarkeit
Variabel vergütete KPIs wie Umsatz, Marge oder Besuchsfrequenz vermitteln scheinbare Objektivität. Das erleichtert Führungskräften die Steuerung – zumindest in der Idee.
d) Wettbewerb stimulieren
Richtig gestaltet, kann ein Leistungsanreiz den positiven Wettbewerb im Vertrieb fördern – sofern Teamleistungen nicht vernachlässigt werden und die Spielregeln als fair empfunden werden.
3. Aber: Die Herausforderungen liegen im Detail
Viele Beispiele aus der Praxis zeigen, dass Incentivesysteme auch Fehlanreize setzen oder sogar kontraproduktiv wirken können – insbesondere, wenn sie nicht zur Realität im Unternehmen passen.
a) Kurzfristiges Denken
Ein zu starker Fokus auf kurzfristige KPIs kann dazu führen, dass Mitarbeitende schnelle Abschlüsse priorisieren – selbst wenn diese langfristig unprofitabel oder strategisch ungünstig sind. Kundenbeziehungen und nachhaltiges Wachstum leiden.
b) Teamleistung wird unterbewertet
Gerade im Projektgeschäft basiert Vertriebserfolg auf Teamarbeit. Wenn jedoch nur der „Closer“ am Ende des Prozesses belohnt wird, können andere Beteiligte wie Technik, Projektleitung oder Presales demotiviert werden. Die Kooperationskultur leidet.
c) Demotivation bei Zielverfehlung
Zielverfehlungen aufgrund externer Faktoren, z. B. Lieferengpässe, Qualitätsprobleme oder Marktveränderungen, führen schnell zu Frust, insbesondere wenn der variable Anteil am Gehalt zu hoch ist.
d) Überkomplexität und Intransparenz
Punktesysteme, Kurvenmodelle, Zielanpassungen, Sonderboni – Incentivesysteme neigen zur Überkomplizierung. Mitarbeitende verlieren den Überblick – oder das Vertrauen in die Fairness.
e) KPI-Trimmen statt realer Performancesteigerung
Wenn der variable Anteil dominierend ist, rückt nicht die Wertschöpfung, sondern die KPI-Optimierung in den Fokus:
Aufträge werden ins nächste Jahr verschoben, um Bonusdeckelungen zu umgehen.
Neukundenklassifizierungen werden kreativ angepasst.
Besuche werden „hochgezählt“, indem mehrere Abteilungen desselben Kunden besucht werden.
Zielbranchen werden flexibel ausgelegt.
Der Versuch, diese „kreativen Erfüllungen“ durch noch präzisere KPI-Definitionen zu unterbinden, führt zu mehr Komplexität – aber nicht unbedingt zu besserer Leistung.
4. Besonderheiten im Investitionsgütervertrieb
Die Investitionsgüterindustrie bringt eigene Herausforderungen mit sich:
• Lange Verkaufszyklen: Projektanbahnungen dauern oft 6–24 Monate. Die Erfolgsbewertung innerhalb eines Geschäftsjahres greift oft zu kurz.
• Hohe Individualisierung: Jeder Auftrag ist anders. KPI-Vergleiche sind selten aussagekräftig.
• Teamentscheidungen: Der Vertrieb ist oft nur ein Teil im Entscheidungsprozess – gemeinsam mit Technik, Entwicklung und Geschäftsführung.
• Externe Abhängigkeiten: Regulatorik, Kundenbudgets oder Branchenzyklen beeinflussen den Vertrieb stark.
• Projektlaufzeiten: Ob Auftragseingang oder Umsatz die bessere Zielgröße ist, hängt stark vom Geschäftsmodell ab.
5. Ein Plädoyer für differenzierte Ansätze
Es gibt keinen Standard, der für alle Unternehmen funktioniert. Entscheidend ist die Frage: Passt ein Incentivesystem zur Kultur und Zielsetzung des Unternehmens – und zu den handelnden Personen?
Wenn ja, sollte es Teil einer ganzheitlichen Führungskultur sein:
Kombination aus individuellen und Teamzielen, um Egoismen zu vermeiden
Einbeziehung qualitativer Aspekte wie Kundenzufriedenheit oder Angebotsqualität
Starke Rolle der Führungskraft bei Zielvereinbarung und Bewertung
Begrenzter variabler Anteil, um Sicherheit und Anreiz zu verbinden
Transparente, einfache Regeln
Regelmäßige Evaluation und Anpassung
In einigen Fällen kann es sinnvoller sein, auf individuelle Boni ganz zu verzichten – zugunsten von Collective-Profit-Sharing oder nicht-monetären Motivatoren.
Ein Incentivesystem ist kein Selbstzweck – und kann sogar schaden, wenn es nicht zur Realität im Unternehmen passt. Besonders im Investitionsgütervertrieb ist systemisches Denken und Handeln gefragt, denn der Erfolg liegt nicht an einer einzelnen Person.
Die nachhaltige Förderung des Vertriebserfolges braucht mehr als monetäre Anreize: Sie braucht eine Kultur, in der Leistung möglich, sichtbar und sinnvoll ist – und Führungskräfte, die wirklich führen, statt nur zu managen.
Hinweis: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde die männliche Form verwendet. Sie bezieht sich stets auf Personen aller Geschlechter.
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